Helm auf zum Fahrradfahren?

Wenn man sich an sonnigen Wochenenden auf den typischen Routen von Fahrradausflügen so umschaut, dann sieht man immer häufiger auch Radfahrer mit Helm. Und bei organisierten Radtouren wird man, je nach Veranstalter, mit sanftem moralischen Druck bis hin zu eindeutigen Vorschriften dazu gedrängt, beim Radfahren einen Helm zu tragen. Nicht selten liest man auch bei Unfallberichten in der Zeitung, daß der Radfahrer ohne Helm unterwegs gewesen sei -- verbunden mit der zwischen den Zeilen unterstellten Behauptung, dadurch sei er (oder sie) irgendwie mit Schuld zumindest an der Schwere der Unfallfolgen gewesen.

Und nicht zuletzt: Jedes Jahr in der Saure-Gurken-Zeit kommt von irgendeinem Bundestags-Hinterbänkler die Forderung nach einer Helmpflicht für Radfahrer (ebenso wie für eine Kennzeichenpflicht).

Ich vermute, daß es vielen so geht, wie mir auch jahrelang: Man hat eigentlich das Gefühl, aus Sicherheitsgründen einen Helm aufsetzen zu müssen, tut dies jedoch aus Bequemlichkeit oder Eitelkeit nicht. Man liest von wissenschaftlichen Untersuchungen, nach denen über 80% der tödlichen Kopfverletzungen beim Radfahren durch Helme verhindert werden können und fühlt sich als unbehelmter Radler gefährdet. Man hat ein schlechtes Gewissen, weil man keine Lust hat einen Helm aufzusetzen, aber glaubt, dies "eigentlich" tun zu müssen.

Was man normalerweise nicht in der Zeitung liest: Nahezu alle Untersuchungen über die Wirksamkeit von Fahrradhelmen werden von den Herstellern von Fahrradhelmen und den Prüf-Instituten, die sich mit dem Test von Helmen finanzieren, bezahlt. Der ersten großen und immer wieder zitierten Fahrradhelm-Studie wurden inzwischen schwere wissenschaftliche Fehler nachgewiesen, die das Ergebnis zweifelhaft erscheinen lassen, was aber anscheinend Niemanden daran hindert, sie immer wieder zu zitieren. Bisher nicht wissenschaftlich untersucht wurde hingegen, ob das Tragen von Fahrradhelmen neben der vorhandenen, wenn auch begrenzten Schutzwirkung, andere Risiken in sich birgt. Es gibt unbewiesene Vermutungen, daß das zum einen dadurch geschehen kann, daß der Kopf beim Sturz mit Helm stärker herumgerissen wird, als beim Sturz ohne Helm, dadurch wird neben der Halswirbelsäule auch der Halteapparat des Gehirns belastet. Zum anderen scheint es vor dem Hintergrund psychologischer Erkenntnisse nicht unwahrscheinlich, daß man riskanter fährt, wenn man einen Helm trägt, und zwar um viel mehr riskanter, als der Helm wirklich schützt.

Der Schutz durch den Fahrradhelm ist beschränkt. Einerseits ist die Stoßbelastung auf den Kopf bei einem Sturz auf freier Strecke aus physikalischen Gründen unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit -- beim über-die-Straße-schlittern vermeidet der Helm zwar Schürfwunden, aber keine lebensgefährlichen Verletzungen, ganz einfach aus dem Grund, daß ein solcher Sturz auch ohne Helm nicht lebensgefährlich ist. Sind allerdings Hindernisse beteiligt, vor allem Autos, so hilft der Helm nur begrenzt, denn scharfe Kanten oder gar spitze Gegenstände durchdringen normale Fahrradhelme und Autos treffen bei den meisten Unfällen vor allem den Körper des Radfahrers oder überrollen diesen gar.

Vor allem aber ist das Risiko beim Radfahren einen Unfall mit lebensbedrohlichen Kopfverletzungen zu erleiden keineswegs höher, sondern eher niedriger, als das Risiko beim Autofahren einen Unfall mit lebensbedrohlichen Kopfverletzungen zu erleiden. Dasselbe gilt für den Vergleich mit dem Risiko bei einem Unfall im Haushalt. Aber keiner der vielen Leute, die den Fahrradhelm für unverzichtbar erklären, kommt auf die Idee, die Benutzung des Fahrradhelms (oder eines anderen Sturzhelms) z.B. beim Gardinenaufhängen oder beim Treppensteigen zu empfehlen. Vom Autofahren ganz zu schweigen.

Selbstverständlich: Wenn Sie vorhaben sich im Papageienkostüm auf einem sündhaft teuren Mountainbike wochenends steile Waldwege herabzustürzen und dabei harmlose Wanderer zu erschrecken, könnten sie schon einen Helm brauchen -- alleine schon wegen der möglichen Reaktionen der Wanderer. Wenn Sie aber einfach nur Fahrrad fahren wollen, dann ist es, auch wenn Sie an die Wirksamkeit von Fahrradhelmen glauben, inkosequent diese Helme gerade beim Fahrradfahren anzuziehen. Wenn Sie unbedingt sicherer Leben wollen, dann sollten Sie den Fahrradhelm beim Autofahren (zusätzlich zu Gurt und evtl. Airbag), beim Duschen oder beim heimischen Hausputz tragen -- im Haushalt geschehen immer noch die meisten Unfälle.

Fahrradfahren ist gar nicht so gefährlich, wie (autofahrende) "Verkehrssicherheitsexperten" immer gerne suggerieren. Achten Sie darauf, daß Ihr Fahrrad technisch in Ordnung ist, daß Ihr Licht funktioniert und Sie wirkungsvolle Bremsen haben (und lernen Sie, sie richtig zu benutzen). Fahren Sie selbstbewußt, lassen Sie sich nicht an den Rand drängen und zeigen Sie den Autofahrern, daß Sie ein gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer sind und kein störendes Verkehrshindernis. Damit können Sie mehr für Ihre Sicherheit tun als mit einem Helm, der Ihnen eher ein Gefühl von Schutz vermittelt, als wirklich zu schützen.

© Rainer H. Rauschenberg 1998


Zuletzt aktualisiert: 25. September 1998 (1998-09-25)
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